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Christian Schulz – Griechenland retten: Kürzungen strecken, Strukturreformen forcieren

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Auch wenn das Aufatmen nach der Griechenlandwahl kurz ausfiel und Sparer und Investoren schnell wieder begannen, spanische und italienische Staatsanleihen abzustoßen: für Griechenland birgt das Ergebnis Chancen. In der Erleichterung über das Ergebnis kann mit gutem Willen auf beiden Seiten das gescheiterte Rettungsprogramm korrigiert werden und Griechenland im Euro bleiben.

Die Schwächen der griechischen Wirtschaft hat die Troika bereits im Mai 2010 identifiziert und im ersten Rettungsprogramm angesprochen:

  • Fehlende Wettbewerbsfähigkeit. Griechenland hatte 1999-2008 höhere Inflationsraten (3.3%) als der Eurodurchschnitt (2.2%), vor allem wegen investitionsfeindlicher Bürokratie und wettbewerbsfeindlicher Regulierung.
  • Große demographische Unwucht und zu hohe Versorgungsansprüche. Trotzdem schützt das Sozialsystem die Schwächsten unzureichend.
  • Extrem hohe Staatsverschuldung, und zwar noch viel höher als die Troika zu Beginn des Anpassungsprogramms ahnte. Nach damaligen griechischen Angaben betrugen die Schulden Ende 2009 115,1% des BIP. Nach heutigem Erkenntnisstand waren es jedoch schon damals 129,4%.

Der Troika war klar: Es würde enorme Ausdauer erfordern, gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit durch interne Abwertung zu stärken und die gigantischen Haushaltslöcher zu stopfen. Nichtsdestotrotz sah der Plan Fiskalkürzungen von 7,5% vom BIP in 2010, 4% in 2011 und 2% in 2012 und 2013 vor, das wohl härteste fiskalischen Kürzungsprogramm in der westlichen Welt seit dem Weltkrieg. Dazu kamen strukturelle Reformen, vor allem auf dem Arbeitsmarkt.

Tatsächlich wurden die Fiskalkürzungen umgesetzt. Das konjunkturbereinigte Primärdefizit sank 2010 um 6,7% und 2011 um 4,6% vom BIP. Das Ziel wurde um nur 0,2 Prozentpunkte verfehlt. Allerdings waren die Nebenwirkungen zu stark: Die Wirtschaftsleistung schrumpfte in diesen beiden Jahren statt um prognostizierte kumulierte 6,5% tatsächlich um 9,2%. Die Troika hatte die Widerstandsfähigkeit der griechischen Wirtschaft überschätzt.

Mit dem zweiten Rettungspaket wurde es nicht besser. Das Ziel, 2020 einen Schuldenstand von 120% vom BIP zu erreichen blieb unverändert. Zwar wurden private Gläubiger gezwungen, mit einem Schuldentausch einen gigantischen Beitrag zur Schuldenreduktion von etwa €100Mrd oder 45% vom BIP beizusteuern. Doch weil dieser Tausch die griechischen Banken, Versicherungen und Pensionskassen ruinierte, mussten diese mit fast €50Mrd rekapitalisiert werden. Dazu mussten die Griechen EFSF-Mittel leihen, um den Gläubigern den Tausch zu versüßen (€25Mrd) und Sicherheiten für die EZB (€35Mrd) bereitstellen, so dass der Schuldenstand durch den Tausch kaum reduziert wurde. Zwar sind nun die Konditionen viel besser, doch weil am nominalen Schuldenziel von 120% vom BIP im Jahr 2020 festgehalten wird, zwingen Europäer und IWF die Griechen zu zusätzlichen massiven Einsparungen. Neben den für 2012 geplanten 2,2% vom BIP sollen sie in 2013 und 2014 noch einmal insgesamt 5,5% vom BIP einsparen. Kein Wunder dass die Wirtschaft sich in der Depression befindet und die Bevölkerung bei den Wahlen aufbegehrte.

Bei den Strukturreformen ging es langsamer vorwärts. Griechenland hat Arbeitsmarktreformen durchgeführt und die Mindestlöhne gesenkt. Einige Berufe im Transportwesen wurden liberalisiert, bei manchen Rechtsberufen wurden Schritte eingeleitet. Die neue Regierung muss jedoch neue politisch schwierige Reformen angehen.

  • Das Sozialsystem muss reformiert werden. Derzeit bekommen viele Nichtbedürftige Sozialleistungen wie Kindergeld weil Bedürftigkeit vom versteuerten Einkommen abhängt, aber durch Steuervermeidung insbesondere Besserverdienende kaum etwas ausweisen. Bedürftigkeit muss auch gegen das Vermögen geprüft werden.
  • Das Steuersystem ist ohnehin komplex und wird durch ständig neuen Anforderungen der Troika noch komplizierter. Der Druck der Steuereintreiber zwingt Unternehmer ins Ausland. Eine drastische Vereinfachung, z. B. eine „Flat tax“, mit niedrigeren Steuersätzen würde die Steuermoral und damit die Einnahmen erhöhen. Die Experten dafür sitzen übrigens nicht in Brüssel, Washington, Berlin oder Paris, sondern in Tallinn, Sofia oder Bratislava.
  • Die investitionshemmende Bürokratie muss drastisch entschlackt werden. Insbesondere ausländische Investoren brauchen größtmögliche Sicherheit und Geschwindigkeit.

Die neue griechische Regierung kann den Verbleib sichern, wenn sie den Reformweg weitergeht, so wie die Portugiesen. Damit könnten auch die Störungen des Wirtschaftskreislaufs wie schlechte Zahlungsmoral und Investitionsstau behoben werden, die der Unsicherheit über die Eurozonen-Mitgliedschaft geschuldet sind. Mit strukturellen Reformen wird es auch sinnvoll, die Wirtschaft nachfrageseitig zu stimulieren, denn die Produktionslücke ist gewaltig und Inflation nicht zu befürchten. Wie Irland und Portugal könnte Griechenland mit einem starken Aufholeffekt besänftigen und den Schuldenabbau beginnen. Vielleicht kann es tatsächlich die Schulden auf 120% vom BIP in 2020 senken. Und wenn es erst 2030 ist, dann werden Europa und der IWF es verschmerzen.



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